| Fragt man heutige 
            Jugendliche, was sie sich für eine Geschichte erwarten, von 
            der sie nur den Titel "Die schwarzen Brüder" kennen, 
            dann wird man die unterschiedlichsten Antworten erhalten. Manche 
            vermuten einen Thriller über Bandenkriege in New York, andere 
            rechnen mit einer okkulten Horrorgeschichte, einzelne denken vielleicht 
            an eine Auseinandersetzung mit der Apartheit, doch auf den wirklichen 
            Inhalt der Romanvorlage Lisa Tetzners, die die Grundlage für 
            die Hörspielbearbeitung durch Heidi Knetsch und Stefan Richwien 
            bildet, wird wohl keiner kommen. Zu fern ist heute zum Glück 
            den Teenagern in Deutschland die von blanker Not erzwungene 
            Kinderarbeit. Gerade deshalb berührt das Schicksal des armen 
            Tessiner Bergbauernburschen Giorgio junge (und ältere) Zuhörer 
            tief. Kaum einer kann sich vorstellen, dass noch Mitte des 19. 
            Jahrhunderts die Menschen im südlichsten Teil der Schweiz Armut 
            und Hunger erleiden mußten. Beklemmend schildert das Hörspiel 
            die verzweifelte Lage der Bergbauern, die durch Mißernten 
            in schwere Not kommen und gezwungen sind, ihre Kinder als Wanderarbeiter 
            zu verkaufen oder zu vermieten. So ergeht es auch Giorgios Familie. 
            Als sich die Mutter am Bein verletzt und dringend einen Arzt benötigt, 
            bleibt dem Vater nichts anderes übrig, als seinen dreizehnjährigen 
            Sohn für 20 Schweizer Franken einem skrupellosen Werber als 
            "spazzacamino", als lebenden Kehrbesen, der durch Kamine 
            kriecht, ins ferne Mailand zu verkaufen. Wie die anderen armen Buben, 
            die ihre Täler verlassen müssen, um den Lebensunterhalt 
            der Verwandten zu sichern, trifft es auch den Helden der Geschichte 
            schlecht: Die Arbeit, die er in Mailand bei dem Kaminfegermeister 
            Battista Rossi erledigen muß, ist äußerst ungesund, 
            Hunger und Kälte zehren seine Kräfte auf - viele seiner 
            Leidensgenossen erleben die versprochene Rückkehr in die Heimat 
            im nächsten Sommer nicht mehr. Aber Giorgio findet unter den 
            anderen Kaminfegerjungen Freunde und sie gründen eine Gruppe, 
            die sich gegenseitige Hilfe schwört. Dieser Geheimbund gibt 
            ihnen Kraft, die tägliche Schinderei und die Angriffe einer 
            anderen Jugendbande zu überstehen - zumindest so lange, bis 
            ihr "capitano" Alfredo an den Folgen der schweren Arbeit 
            stirbt. Nach dem Tod seines besten Freundes Giorgios verschlimmert 
            sich seine Lage zusätzlich durch die ständigen Quälereien 
            der Frau seines Meisters. Da beschließt er, den Rat eines 
            Schweizer Arztes zu befolgen und die Flucht nach Lugano zu wagen, 
            zusammen mit seinen "schwarzen Brüdern" Dante und 
            Augusto...
 Die Kinderbuchautorin Lisa Tetzner schuf mit ihrem 
            1941 erschienenen Roman eine eindrucksvolle, emotional aufwühlende 
            Darstellung des Schicksals der armen Tessiner Kaminkehrerjungen. 
            Tetzner gelingt es, eine fesselnde Geschichte über Schicksal 
            und Ungerechtigkeit, aber auch Freundschaft, Treue und Güte 
            zu erzählen. Ihr dabei eine pathetische Verherrlichung des 
            Sozialismus zu unterstellen, wie in einer Kritik geschehen, 
            ist nicht nachvollziehbar, auch wenn die Schriftstellerin, ebenso 
            wie ihr Mann Kurt Held (der Autor der "Roten Zora"), mit 
            dem sie nach  der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in 
            die Schweiz emigrierte, sozialistischem Gedankengut durchaus nahestand. 
            Dass  Tetzner lediglich ein "Schwarz-Weiß-Gemälde" 
            darstellt, "wo die Sympathie ausschließlich bei den Armen 
            liegt" (Elisabeth Simon-Pätzold), verkennt die aufrichtige 
            Hilfsbereitschaft des Tessiner Arztes Dr. Casella.
 Durch den 
            äußerst sparsamen Einsatz von Hintergrundgeräuschen 
            schafft die Hörspielbearbeitung eine eindringliche Atmosphäre: 
            Gebannt lauscht man dem Rückblick des erwachsenen Giorgios. 
            Der von Ulrich Pleitgen mit lakonischer Ruhe gesprochene Lebensbericht 
            wird immer wieder durch einzelne Szenen aus dem Leben des Tessiner 
            Burschen unterbrochen. Diese geschickte Verknüpfung von Lesung 
            und Hörspiel vermittelt ebenso wie die melancholische Klaviermusik 
            von Veda Hille von Anfang an das Gefühl der unmittelbaren Betroffenheit. 
            Man leidet spürbar mit dem Helden, kann die Grausamkeit des 
            Werbers Antonio Luini - dem Mann mit der Narbe - kaum begreifen. 
            Seine heisere Stimme (beeindruckend gesprochen von Horst Mendroch), 
            mit der er unbarmherzig die Jungen an die Kaminkehrermeister verschachert, 
            jagt einem Schauer über den Rücken. Auch die weiteren 
            Rollen sind perfekt besetzt, die einzelnen Charaktere werden von 
            der Stimmgewalt der Sprecher in klaren, eindeutigen Linien gezeichnet: 
            einerseits die keifende, habgierige und abgrundtief böse Frau 
            des Kaminkehrers sowie ihr verlogener Sohn Anselmo, andererseits 
            der liebevolle, barmherzige Dr. Casella. 2004 erhielt das Hörspiel 
            "Die Schwarzen Brüder" den Vierteljahrespreis der 
            Deutschen Schallplattenkritik (05/2004).
 Tip der Hörspielhelden:Das 
            Hörspiel eignet sich für den Einsatz im Deutschunterricht 
            am Gymnasium in den Altersstufen 7 und 8, eventuell fächerübergreifend 
            mit dem Fach Geschichte.
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