Hier gibt es ziemlich viele Dinge, über die nicht gesprochen werden darf: Ein merkwürdiges Haus mit mehr als 100 Zimmern, ein schauderhaftes Heulen in den Gängen und nicht zuletzt eine Mauer, die einen unzugänglichen Garten ohne Tor umgrenzt. Als die zehnjährige Mary nach dem Cholera-Tod der Eltern von Indien nach England geschickt wird, um beim Bruder ihrer Mutter ein Auskommen zu finden, gibt es für das Mädchen keine andere Beschäftigung, als stundenlang durch die umfangreichen Gemüseanlagen des Grundstücks zu streifen. Weil ihr Onkel, Sir Archibald Craven, sich schnell als wunderlicher Kauz entpuppt, der kein Interesse an seiner Nichte hat, und sich auch keiner der Angestellten eingehender mit der verstörten, aber fürchterlich verwöhnten Vollwaise beschäftigen will, gleicht in den ersten Wochen ein Tag dem anderen. Lediglich der mysteriöse Garten, über den niemand im Haus ein Wort verlieren möchte, läßt Mary keine Ruhe. Allerdings stellt sich bald heraus, daß Cravens Frau genau hier tödlich verunglückt ist, und es wird klar, warum der Einsiedler den ihm verhaßten Ort zum Tabuthema für seine Umwelt erklärt hat.

"Der geheime Garten" ist nur eines von rund 40 literarischen Werken der Schriftstellerin Frances H. Burnett, die - 1849 in Manchester als Francis Eliza Hodgson geboren - bereits mit 17 Jahren zu schreiben begann. Daß den literarischen Anfängen der Tod des eigenen Vaters sowie die Auswanderung der übrigen Familienmitglieder nach Amerika vorausging, mag als Grundmotiv in vorliegender Geschichte ebenso zu finden sein wie die unübersehbaren Parallelen zu einem zweiten Burnettschen Kinder-Klassiker "Der kleine Lord".

Seit Ende August sind die beiden Archivproduktionen nun erstmals zum Taschenbuchpreis in der Hörspielreihe D>A<V pocket erhältlich. Obwohl die Aufmachung gegenüber einer früheren Veröffentlichung ein ausführliches Booklet vermissen läßt, kann die Bearbeitung des SWR selbst voll überzeugen. Vor dem inneren Auge erwächst schon nach kurzer Zeit das greifbare Bild eines verwunschenen Areals, dessen schauerlich-schöne Ecken sich mit akustischer Raffinesse in unseren Gehörgang schlängeln: Ein Zirpen und Rasseln, ein Trommeln und Tirilieren, ein wenig Flöte vielleicht, schon entfaltet der grüne Traum seine ganze Kraft. Denn Mary findet natürlich nicht nur den Schlüssel, sondern auch das Tor, das ihr Einlaß in den Garten und damit auch in die Herzen ihrer Mitmenschen gewährt, als da neben dem vermeintlich hartherzigen Craven auch noch der Bauernjunge Dickon und der scheinbar todkranke Cousin Colin wären. Gesprochen von Samuel Teixeira legt Colin die ganze Palette menschlicher Wesenszüge vom hypochondrischen Haustyrann bis hin zum kindlichen Übermut an den Tag, die während der Handlung nur sehr gezielt durchbrochen werden. Obwohl mit Theaterlegende Doris Schade die Instanz eines Erzählers eingebaut worden ist, wird dieser nur da eingesetzt, wo es unbedingt notwendig erscheint, etwa um die Handlung voranzutreiben, das Geschehnis zu erklären bzw. zusammenzufassen.

"Der geheime Garten", hier sei es offen hinausposaunt, ist großartige, weil romantisch-verwunschene Unterhaltung zum kleinen Preis.

Petra

Sprecherinnen und Sprecher

Erzählerin Doris Schade
Mary Solvej Krase
Colin Samuel Teixeira
Dickon Tobias Schmidt
Martha Jaschka Lämmert
Sir Archibald Craven Peter Frice
Mrs Crawford Christine Davis
Mr Pitcher Hans Treichler
Dr. Craven Klaus Hemmerle
Roach Joachim Hall

Hörspiel für Kinder
1 CD 55 Min. 8 Tracks
Hörspielbearbeitung Katrin Wenzel Regie Götz Fritsch

Produktion Südwestrundfunk 1999
© 2005 Der Audio Verlag GmbH

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